Mit 17 Jahren unternahm ich meinen ersten Fluchtversuch. Dieser scheiterte, und ich wurde für mehrere Monate eingesperrt. Nach meiner Entlassung aus der Haft versuchte ich, mir in der DDR ein neues Leben aufzubauen. Doch das war nicht ohne Weiteres möglich mit einem Ausweis, der mich sofort als Republikflüchtling kennzeichnete. Wöchentlich musste ich mich bei der Polizei melden und viele Schikanen ertragen. Meine Wohnung wurde durchsucht und Mitarbeiter der Staatssicherheit verfolgten mich. In den folgenden Jahren eskalierte die Situation. Völlig verzweifelt schrieb ich einen Brief, in dem ich meine Verbrennung ankündigte. Da veränderte sich mein Leben schlagartig.

Er wollte sich nicht anpassen, sondern nur frei leben

Uwe Zoller wurde für 90.000 DM von der DDR an die BRD verkauft.

doch narben bleiben

„Ich konnte bisher nicht darüber reden. Ich wollte nicht an die schrecklichen Monate erinnert werden.“ fängt Uwe Zoller an. Er schluckt mehrmals, ehe er weiterreden kann. „Freiheit ist etwas, das man erst schätzt, wenn man es nicht mehr hat.“

Uwe Zoller aus Zeitz weiß, wovon er redet. Als 17-jähriger hat er gemeinsam mit einem Freund versucht, über die tschechische Grenze zu fliehen. „Wir waren jung und hatten Flausen im Kopf.“ erzählt Uwe Zoller. Nur mit Kompass und einem Bolzenschneider ausgestattet, wollten sie einen Ausbruchsversuch starten. Als sie planlos durch die Grenzregion streiften, sind sie sofort den Grenzsoldaten aufgefallen und wurden festgenommen. Nach drei Monaten Haft im „Roten Ochsen“ in Halle und dem Versprechen, in der DDR bleiben zu wollen, durften sie nach Zeitz zurück und ihre Ausbildung beenden.

Aktiv in der Friedensbewegung

Aber so richtig anpassen konnte sich Uwe Zoller in den folgenden Jahren nicht. Er wollte etwas bewirken. Er wollte die Leute wachrütteln. Einen große Wendepunkt in seinem Leben stellte das Unglück in Tschernobyl dar. „Da erzählte uns der Parteisekretär, dass der antifaschistische Schutzwall uns vor allem – auch vor den gefährlichen Strahlen – beschützt. Danach wollte ich nicht mehr still halten.“ Mit einigen Freunden gründete Uwe Zoller eine Friedensgruppe in Zeitz. „Von Anfang an war auch die Stasi mit dabei. Das habe ich aber erst hinterher erfahren.“ Uwe Zoller wusste, auf was er sich einlässt. „Es hat mich fertig gemacht, dass Millionen für eine Grenze, einen angeblichen Schutzwall, ausgegeben wurden. Einen Schutzwall, der sich nur nach innen richtete.“ In seinem delphingrauen Trabant hatte er das Schild „Schwerter zu Pflugscharen“, das Zeichen der damaligen Friedensbewegung, angebracht. Dass das Schild ebenso wie die rot-gelb-schwarze Kordel im Parka nicht geduldet wurden, können sich Jugendliche von heute kaum noch vorstellen.

Doch narben bleiben
doch narben bleiben

Verraten und hilflos

Im Jahr 1987 spürte Uwe Zoller, dass sich etwas grundlegend geändert hatte. „Es war wie ein Strudel. Die Ereignisse überschlugen sich.“ Die Staatssicherheit durchsuchte seine Wohnung und er wurde verfolgt. 1987 entließ ihn sein damaliger Arbeitgeber. Der psychische Druck auf ihn wurde immer größer.

„Als ich mich 1988 weigerte, zur Armee zu gehen, wurde für mich die Lage prekär.“ Aus lauter Verzweiflung schrieb Uwe Zoller einen Brief. In diesem teilte er mit, dass er sich eher wie Brüsewitz verbrennen werde, ehe er zur Armee gehe. Dieses Schreiben schickte er an den damaligen Landesbischof Werner Leich und eine Kopie an Bekannte in der Bundesrepublik Deutschland.

Verurteilt wie ein Verbrecher

Drei Wochen nach Versenden der Zeilen wurde er von Mitarbeitern der Staatssicherheit abgeholt und zuerst nach Halle in den „Roten Ochsen“ gebracht. Was er danach erlebte, kann er kaum in Worte fassen. Immer wieder ist Uwe Zoller den Tränen nahe. Selbst nach so vielen Jahren fällt es ihm schwer, darüber zu reden. Er wusste wochenlang nicht, wo er sich befand, konnte sich mit niemand unterhalten. „Am schlimmsten war die Angst, umgebracht zu werden.“ bringt er stockend hervor. Die Gerichtsverhandlung in Halle, bei der nicht einmal seine Eltern dabei sein durften, dauerte eine halbe Stunde. Wegen Verstoßes gegen § 219 (2) Ziffer 1 des Strafgesetzbuches der DDR wurde Uwe Zoller zu ein Jahr und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Durch seinen Brief wurde angeblich das Ansehen der DDR im Ausland geschädigt und  dafür musste Uwe Zoller büßen.

„Als der Richter ‚Im Namen des Volkes‘ sagte, empfand ich es als Hohn.“ erinnert sich Uwe Zoller. Nach der Gerichtsverhandlung kam er ins Gefängnis in Cottbus. Dort wurde er von einem Gefängniswärter „begrüßt“, der den Spitznamen „Roter Terror“ hatte. Dass der Mann nach der Wiedervereinigung für seine Taten rechtskräftig verurteilt wurde, kann Uwe Zoller nicht mehr trösten. Seine Narben am Kinn zeugen noch von den damaligen Erziehungsmethoden. „In Cottbus waren wir mit den normalen Kriminellen untergebracht und wurden auch so behandelt.“ erzählt er. „Eines Morgens wurde ich geweckt und musste meine Sachen packen. Niemand sagte mir, wo ich hingebracht wurde.“ Erst in Chemnitz überreichte man ihm die Ausbürgerungsurkunde. Die DDR hatte ihn für 90.000 DM an die BRD verkauft. Kahl geschoren und mit Gefängnissachen kam er in Gießen an. „Das war für mich ein Schock. Nach den vielen Monaten war ich endlich in Freiheit.“

Nach der Wende

Zurück in seiner alten Heimat versuchte er, die schlimmste Zeit seines Lebens zu vergessen. Vor einiger Zeit ist Herr Zoller jedoch leider verstorben.

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